Paul Blau
Es gibt kein Entrinnen aus der Kunst, sage ich. Ich spreche es anonym in den Wind, wo das Getöse unermesslich ist. Meine Stimme klingt laut, weil sie laut sein will, weil sie laut sein muss, lauter als die zerschossenen Fahnen, lauter als die Feuer der Zerstörung, lauter als der Lärm, den die Dummheit grölend überall vollführt.
In unseren Köpfen schlummern Schläfer, die nur darauf warten, Mohnblumen auszusäen auf all diesen vertrockneten Wiesen, in all diesen verwaisten Straßengräben, Mohnblumen, deren Blühen bleibt, wenn wir uns wiedersehen.
Gestern waren wir nüchtern, und wir hatten keine Botschaft mehr. Aber heute, glaub mir, heute erwachen wir mit unübersehbarer Kraft. Erschöpft lagen wir dort unten im Tal und hatten keine Stimme mehr, eine Heiserkeit hatte sich ihrer bemächtigt in mächtiger Beklemmung. Nun sind wir wieder zugegen, gegenwärtig und wach. Wir trinken schlechten Wein, als wären wir genau die Legenden, von denen wir in den traurigen Tagen bereits träumten, als wären wir genau die Verlierer, mit denen wir uns verbündeten, als wären wir genau die, die immer noch etwas heraus zu würgen haben, wenn jedem Andern bereits das Wort im Halse gebricht.
Es gibt kein Entrinnen aus der Kunst, rufe ich in eine taub gewordene Menschenmenge hinein, manchmal rufe ich, ohne dass dabei ein Ton zu vernehmen ist. Ich habe keine Waffe, ich habe nur ein Blatt Papier, das ich dir hinhalte, als hättest du darauf gewartet. In der Finsternis, die keine Sterne mehr kennt, erfinde ich dir Sterne, wenn du willst. Das ist meine geheime Fähigkeit, die ich unter der Haut trage, als müsste ich mich dafür schämen.
Ein wirres Bilderspiel entkommt den Öffnungen, Wirrwarr überhaupt schlüpft unter den gemäßigten Fragmenten von Eierschalen hervor, die nichts ahnen von ihrer schonungslosen Bestimmung. Die Vulkane sind im Ausbruch. Die Tore sind aufgetan. Ich habe keine Zuflucht mehr. So ringt es mit mir, kämpft es sich aus mir, schlangengleich schlängelt es sich nach draußen, ergießt sich gar im Schwall. Selbst wenn ich es zu verhindern suche, um vielleicht wenigstens einmal vernünftig zu sein, ergießt es sich erbarmungslos und absichtslos bis zuletzt.
Alles hat sich aufgelöst. Wir suchen eine Bleibe, und bleiben doch ruhelos und ohne Heimat. Wir hausen unter einem Bauwagen in der Erwartung, dass doch zu guter Letzt noch eine Abschweifung bleibt oder ein hoffnungsvoller Briefumschlag.
Es gibt kein Entrinnen aus der Kunst, denke ich und löse die Farben aus den Worten heraus, koste sie aus bis zum Schluss. Selbst wenn sie verblassen wie so oft, und wir uns bereits mit ihrem Verschwinden zufrieden gegeben haben, werden wir am Ende doch noch eines von diesen Stillleben in Händen halten, an denen die alten Meister sich erfreuten.
Ich weiß nicht, wo ich bleibe, also bleibe ich einfach hier. Ich sitze vor meinem Gemälde, unschuldig wie vormals, unschuldig wie ein Kind und trage Pigmente auf mit Pinseln, die meine Finger sind. Und wenn ich nur noch meine Finger habe, dann streichle ich dir die Haut bergauf und bergab, dann streichle ich dir das Öl ins Feuer. Ich brauche keine Ertüchtigung und keine Schulmeisterei, denn die Bewertungen der Museumsbesucher sind nicht mehr wert als eine Münze, die von Hand zu Hand geht. Niemand hat sich gemeldet, um mir die Sprache zurechtzufeilen, niemand hat sich gemeldet, um diese Worte abzurunden, niemand hat sich gemeldet, um sich mit mir zu versöhnen. So stehe ich einfach hinter dieser Straßenecke wie ein Video-Still, das ich mir ausgesucht habe.
Es gibt kein Entrinnen aus der Kunst, sage ich, denn es gibt keinen Ort, sich zu besinnen, es gibt keinen Ort, selbst wenn wir traurig werden dabei. Und es gibt keine Errettung aus dem Schrei, der von der Brücke fällt. Und es gibt keinen Ausweg aus der Schönheit, die wir sind, sage ich.